Prof. Dr. Jack van der Veen ist Professor für Supply Chain Management an der international renommierten Nyenrode Business Universität. Für Yellowstar nahm er sich 1,5 Stunden Zeit, um seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Hier Teil 2: „Die Logik von Kettenkooperation ist sonnenklar. Was hält die Logistikunternehmen also noch davon ab?“

Wie sehen Sie den heutigen Stand der Kettenkooperation?

„Zusammenarbeit führt im Allgemeinen dazu, dass Unternehmen schneller, besser, günstiger, nachhaltiger und innovativer operieren können. Außerdem macht es auch noch mehr Spaß. Mithilfe von IT erschafft man durch Kooperation eine transparente Kette, ohne unnötige Zwischenglieder. Geruckel und Engpässe in der Lieferkette verschwinden. Die Zuverlässigkeit nimmt zu, die Fehlerquote sinkt und die Kundenzufriedenheit steigt. Kurz, was könnte Logistikunternehmen davon abhalten, auf diese Weise zu arbeiten? Ein für mich sehr lehrreiches Erlebnis war vor einigen Jahren ein Vortrag über Kettenkooperation, den ich vor der Spitze der niederländischen Logistikbranche hielt. Die meisten waren Selfmade-Männer in den Sechzigern, die es geschafft hatten und die man nur bewundern konnte. Ihre Reaktion auf meinen Vortrag war kurz gesagt, dass man schon so viele Krisen gut bewältigt habe, dass man überhaupt keinen Grund sehe, etwas zu verändern. Fragt man jedoch die nächste Generation, die Vierziger, die in den Startlöchern stehen, um den Stab zu übernehmen, dann sieht es schon ganz anders aus.

Das Beer Distribution Game illustriert die Bedeutung von Transparenz

„Mit Vertretern aus der Wirtschaft spielen wir auf unseren Business Universität Nyenrode regelmäßig das Beer Distribution Game: Vier Spieler am Tisch, die auf möglichst effiziente Weise den Kunden mit Bier versorgen müssen. Jeder Spieler stellt ein Kettenglied dar und verwaltet darin seine eigenen Lagerbestände: von der Fabrik über den Distributor und Großhandel bis zum Endkunden. Jedes Glied verarbeitet dann eingehende Aufträge. Spieler X beschließt dann irgendwann wegen sinkender Lagerbestände mehr zu bestellen als eigentlich nötig, woraufhin ein Aufschaukeleffekt eintritt. Das nächste Kettenglied sieht die steigende Nachfrage und legt noch eine Schippe obendrauf. Irgendwann läuft es total aus dem Ruder. Jeder reagiert auf die Nachfrage, die bei ihm ankommt, während sich die Endnachfrage nur sehr wenig geändert hat. Das sind alles selbst geschaffene Schwankungen. Der Kern der Lösung ist das Teilen von Informationen! Transparenz beseitigt die Variabilität. Die Digitalisierung entfernt Aufschaukeleffekte und Chaos aus der Kette. Wer das Beer Distribution Game gespielt hat, vergisst das nie wieder.“

Was muss Ihrer Meinung nach passieren, um die Kettenkooperation echt weiter zu bringen?

„Bevor man die Logistikunternehmen anlernen kann, muss man ihnen erst etwas abtrainieren. Das ist sehr schwer. Anders denken und handeln - durch Zusammenarbeit mit Kettenpartnern - ist für Unternehmen ein große Veränderung. Was mir Sorgen macht, ist, dass die neuen Generationen zwar bereit dazu sind, aber nicht den Freiraum dafür bekommen, da sie ,unten‘ anfangen müssen. Und dann aussteigen, weil sie sehen, dass die alten Systeme, die das Unternehmen nutzt, nicht mehr funktionieren. Die Logik von Kettenkooperation ist sonnenklar. Der Punkt ist, wie die Veränderung in diese Richtung tatsächlich bewerkstellig werden kann. Alles dreht sich um Triple A: Awareness, dass sich die Welt verändert, Acceptance, dass man als Unternehmen, als Profi, als Führungskraft etwas anders machen muss, und dann erst folgt die eigentliche Action, bei der man als Unternehmen tatsächlich in Bewegung kommt und konkrete Dinge umsetzt.“

Wie sehen Sie die Entwicklung bei den drei As?

„Die Awareness nimmt zum Glück zu. Logistikunternehmen sehen Konkullegen aktiv werden und wollen nicht zurückstehen. Psychologisch ist das ein wichtiger Trigger. Ich verwende häufig die Metapher des dicken Rauchers. Die Awareness ist sehr groß, dass Übergewicht und noch dazu Rauchen unvernünftig ist. Aber akzeptiert der dicke Raucher, dass er aktiv werden muss? Schließlich ,rauchte schon der 85-jährige Opa wie ein Schlot.‘ Der beste Trigger für wirkliche Veränderung ist, dass das direkte Umfeld den dicken Raucher auf sein Verhalten anspricht. ,Papa, du rauchst ja schon wieder - davon stirbst du doch?‘ Solange das nicht passiert, verändert sich nichts. Das Umfeld ist ein wichtiger Einflussfaktor, um aktiv zu werden. Ich glaube deshalb schon, dass das Thema Kettenkooperation in Bewegung ist. Die Ebene, die aktiv wird, wird immer größer, die Ebene, die überhaupt nichts tut, immer kleiner. Die Gruppe der Zurückbleibenden stirbt langsam aus.“

Dieses Interview mit dem Hochschulprofessor Jack van der Veen ist Teil einer dreiteiligen Reihe. Lesen Sie hier Teil 1 ,Alles beginnt mit einer Vision‘.